Leiden für die Leidenschaft

Story über die Restauration eines Mercedes 170 S A-Cabrio, Baujahr 1951:

Vorgestern war nicht nur ein meteorologisch schöner Tag, sondern auch ein schöner Tag für mich ganz persönlich. Denn seit gestern ist mein 170er nach 49 Jahren Stilllegung wieder in alter Frische auf der Straße. Das Interesse, auch mal über den berühmten Tellerrand zu schauen, hatte sich schon nach der Beschreibung meiner dritten Probefahrt gezeigt, sodass nun auch das Ergebnis meiner fünften Probefahrt für den einen oder anderen interessant sein könnte.

Mit dem nötigen Werkzeug- und Tester-Equipment (und Fotokamera) bestückt machten wir uns zur 5. Probefahrt auf. Bei ähnlichen Außentemperaturen wählten wir uns exakt die gleiche (Steil-)Strecke der dritten Probefahrt, bei der die Motorkühlung noch versagt hatte und den Kühler hat überkochen lassen. Dieses Mal funktionierte aber alles perfekt. Auch die Motortemperatur zeigte keine Beanstandungen. So komm ich zum Schluss gaaaanz vorsichtig optimistisch zu sein, dass wir unsere Fahrt zum MVC-Jahrestreffen in Niedernhausen möglichst ohne Blamage mit dem neuen alten Gefährt meistern können.

Als nach der relativ langen Bergfahrt die Anspannung so langsam von mir abfiel und mich anstatt nun eher im Unterbewusstsein mit der Suche eines schönen Fotohintergrundes beschäftigte, merkte das auch Beatrix und sagte: „Ich glaube, der 170er ist wieder in sein Leben zurückgekehrt!“ Nun, ob dies der Weisheit letzter Schluss ist, muss er nun erst einmal selbst unter Beweis stellen.

Nun zur Erklärung der am Ende des Artikels befindlichen Galerie: Am Anfang meiner 18-jährigen Restauration wurden die Fotos noch auf Zelluloidbasis gemacht und dann in Papierform archiviert, von denen ich heute ein paar abfotografiert habe. Ein paar letzte Fotos im Vergleich. Praktisch alle Interieurteile aus Holz, Leder, Teppiche, usw. dienten nur noch zur Vorlage für den Nachbau. Die beiden Ratten und –zig mumifizierte Mäuse habe ich nicht mehr restaurieren könnenJ Ich habe ca. 2000 Fotos von der Restauration gemacht. Davon will ich mit ca. 350 bis 400 Fotos noch ein Fotobuch mit dazugehörenden Texten machen. Aber –  zuerst muss der Wagen mal auf die Straße. Dieses 170er S A-Cabrio ist am 04.07.1951 in der Schweiz erstmals zugelassen worden und am 20.02.1968 letztmalig in Lausanne/Schweiz abgemeldet worden. Nach dem teileweisen Auseinanderbauen von zwei Schweizer „Restaurateuren“ und vor einem weiteren Restaurationsversuch in Deutschland kaufte ich 1999 die Fragmente und Einzelteile von einem Deutschen „Fantasten“ ab. Aus den wenigen Daten ist ersichtlich, dass mit fast 50 Jahren Stilllegung und meiner rund 18 jährigen Restauration schon riesige Zeitspannen resultieren. Die Fotos beweisen es, dass die Zeit weiterlief und im wahrsten Sinne des Wortes auch bei mir im Gesicht geschrieben steht. Natürlich habe ich zwischendurch auch schon mal etwas anderes gemacht und auch ein paar andere Fahrzeuge auf die Beine gestellt. Aber die ersten zwei Jahre und die letzten zwei Jahre habe ich mich fast ausschließlich mit dem 170er beschäftigt, sodass summa summarum schätzungsweise mindestens 5000 Arbeitsstunden zusammengekommen sind. Das Fahrgestell mit Achsen, Bremsen, Zentralschmieranlage, Antriebsstrang usw. war noch mit Abstand das Einfachste. Schwieriger mit sehr viel Zeitaufwand folgte das Anfertigen, natürlich aus über 20 Jahre trocken gelagerter Esche, von Karosserieholz und Türrahmenholz über dreidimensionale eigens angefertigte Schablonen, Unterkonstruktionen für Interieurteile, Verdeckgestell und Spriegel. Gut vier Jahre war ich nur mit der Karosserieschweißung zu Gange. Jeden Kotflügel (die vorderen sind je 2,90m lang) und jede Tür oder Haube habe ich durchschnittlich je 100mal probemontiert. Es wird hoffentlich nicht als Angeberei gewertet, wenn ich ganz besonders stolz auf die genauen und gleichmäßigen Karosseriespaltmaße im Zehntelmillimeterbereich bin. Die Karosseriefluchten, Rundungen und Radausschnitte sind einwandfrei. Ein Jahr lang beschäftigte ich mich nur mit der Karosserieverzinnung und Grundierung. Dann sämtliche Vollmessing-Zierleisten auf genaue Länge der Spaltmaßen angepasst, gefeilt und teilweise mit Messing und Lot verlängert und allesamt den Rundungen der Karosserieform saugend gebogen und mit Schweifhammer auf Linie getrieben, angepasst und probemontiert. Die gleiche Prozedere mit Kühlerverkleidung, Verdeckchrom, Sturmstangen, Fensterchrom, Steinschlagecken, usw. Mehrere Jahre beschäftigte ich mich zwischendurch immer wieder mit allen Reparaturen von Einzelaggregaten wie Getriebe, Lenkgetriebe und Motor, Motoranbauteilen, technische Einzelteile wie Scheibenwischerteile, Schlösser, Scharniere, Fensterheber, Armaturen, Instrumenten, Interieurteilen, Tank, Anbauteilen wie Stoßstangen, Zierleisten, Lampen, Felgen, usw. usw. usw….

Mit dem Hauptzusammenbau und das Einziehen und Verklemmen der Kabelbäume fing ich 2015 an. Die Winkerfunktion mit Blinker jede Seite in gleicher Frequenz blinkend und Blinker in der Zweikammerschlussleuchte in originaler Eierleuchte (aber mit 3 Funktionen für Schluss-, Blinker- und Bremslicht), Betätigung natürlich über den Lenkrad-Hupenring, dann die zwingend erforderliche Warnblinkanlage, und das alles noch in 6 Voltausführung, waren schon interessante Herausforderungen. Zuschneiden, Verlegen und Kleben der Teppichteile und Lederbezug, unzählige Ledereinfassungen, Himmel und Dachabschluss waren im Winter 2016/17 angesagt. Anfang 2017 passte ich das sichtbare Interieurholz von Ausschlag, Fensterschlüssel, Fondbereich und Türen an und montierte es im Baufortschritt zusammen mit den Interieurteilen. Ich achtete exakt auf die gleiche handwerkliche Verarbeitung und Montage, z.B. alles mit Schrauben, Muttern etc. aus den 40/50er Jahren, also z.B. Schlitzschrauben, 8er Schrauben mit 14er Sechskant, usw. Sämtliches Zierholz ohne sichtbare Montageschrauben. Die ehemalige Handwerkstechnik hierfür konnte ich mir an meinem zweiten 170er SAC abgucken, der bis dato niemals auseinander gebaut war. Im Nachhinein muss ich feststellen, dass ich ohne den zweiten SAC als Anschauungsobjekt das Konvolut aus lieblos demontierten Alt- und Neuteilen ohne jegliche Aufzeichnungen nicht in der nötigen Originalität hätte aufbauen können. Letzteren tauschte ich aber (ohne zusätzlichen Geldfluss) ein für Arbeiten, die ich nicht selbst machen konnte. Lack, Ledersitzbezüge, Türbelag und Dach waren die einzigen Gewerke, die dann dem Profi überlassen wurden. Alles andere ist ganz langsam in meiner kleinen „Muckelbude“ zusammengewachsen.

Die Fertigmontage endete im Mai 2017. Die Vollabnahme mit TÜV und H-Zulassung waren nur noch Formsache. Jetzt ist mein 170er den heutigen modernen SUV´s karosseriemäßig weitgehend ähnlich, mit 52 PS zwar mit deutlich weniger Leistung, aber genauso mit erhöhten Sitzen und einer Türbreite von 1,10m ist ein sicher genauso bequemes Ein- und Aussteigen möglich. So bin ich auch schon selbst für den letzten Lebensabschnitt als Fahrer gewappnet.

Vor der Tour nach Niedernhausen bekommt er nochmals neues Öl, Kühlwasser und Bremsflüssigkeit. Mehr kann ich für ihn nicht tun. Trockenes Sommerwetter wünschen wir natürlich nicht nur uns und unserem frisch restaurierten SAC, sondern Euch allen!

Mit fröhlicher Lichthupe!

Beatrix + Alois

Published on  May 21st, 2019