Wie der Zufall so spielt (Update Teil 3)

Teil 1

 von Martin Senger

„Ich hab da was gefunden!“
Christina wischt auf dem Handy hin und her, seit wir die Mitteilung bekamen, daß das ORC-Deutschlandtreffen 2020 wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde.
„Wenn wir nicht nach Österreich einreisen dürfen, bleiben wir eben in Deutschland. Ist auch nicht teurer.“
„Was denn?“
„Ein schöner kleiner Bungalow in MeckPomm.“
„Hmm...“
„Fast direkt an der Ostsee!“
„Aha“
„Bei einem Gutshaus!“
„Hmm...“
„Da gibt’s auch Mopeds“
„Ach ja? Was denn für welche?“
„Münch, kennst Du die?“
„Nicht persönlich. Was machen die da?“
„Da ist so ein kleines Museum mit dabei, könnte vielleicht ganz interessant sein. Ich reserviere mal, wenn die Corona-Regeln gelockert werden, sind die bestimmt schnell weg.“
„Ja, mach halt.“

Ein paar Telefonate mit Marita Gronau und eine Anzahlung später wussten wir, daß wir dort in einem großzügig angelegten Gutshaus eine Münch Mammut2000 und ein paar andere Exponate sehen werden und dass an unserem Abreise-Wochenende dort sogar ein Motorradtreffen stattfinden würde.
Fahren wir halt mal hin und lassen uns überraschen.
Vor Ort angekommen wurden wir herzlich begrüßt und durften auch gleich ein paar Exponate in der Eingangshalle bewundern. Inzwischen hatten wir erfahren, daß Marita Gronau seit einigen Jahren die Partnerin des Konstrukteurs der Münch Mammut2000, Thomas Petsch war und seit seinem Tod 2017 sein Andenken bewahrt.
In dem Gutshaus kann der Motorrad-Fan eine Drive-In-Ferienwohnung zum Parken der eigenen Maschine quasi im Wohnzimmer oder eine Motorrad-Suite  mit einer Münch Mammut2000 vis à vis vom Doppelbett mieten. Die Mammut-Bar im Keller ist mit diversen Exponaten und viel Information zu Thomas Petschs Traum vom stärksten Serienmotorrad der Welt ausgestattet.
Dort erfährt man auch, daß er seine Metallverarbeitungskarriere damit begann, die Jugendstil-Gartenbank seiner Eltern in Stückzahlen nachzubauen. Polen sollte der Produktionsstandort werden zu einer Zeit, als man dafür noch durch die DDR reisen musste. Zwei Tage lang stand er mit der zerlegten Bank im Kofferraum an der Grenze, bis die DDR ihn durchreisen ließ. Globalisierung nennt man das heute.
Eine anderer Artikel zeigt, daß er seiner Zeit auch anderweitig weit voraus war: Um den Geräuschtest des TÜV zu absolvieren, musste die Maschine bei der Messung von 50km/h aus voll beschleunigen. Dies gelang nicht, weil dabei das Hinterrad durchdrehte und die Maschine ausbrach. Er wandte einen „Trick“ an, der VW in einer ähnlichen Form fast das Genick gebrochen hätte: Die Motorsteuerung wurde so „optimiert“, dass beim Annähern an die 50km/h-Marke die Testsituation erkannt und die Motorleistung soweit gedrosselt wurde, daß der Test absolviert werden konnte. Ob man das heute noch „Trick“ nennen dürfte?

Unser Urlaub ging langsam zu Ende, als die ersten Teilnehmer des Treffens eintrafen. Eine der sechs ausgelieferten Maschinen traf ein, laut Aussage des Besitzers die einzige noch auf der Straße gefahrene, nur ein bisschen frisiert auf 300PS, hat uns der Koch des Gutshauses verraten. Ich machte ein paar Fotos und entdeckte eine Signatur des Konstrukteurs am Heckbürzel. Das Foto davon stellte ich in meinen WhatsApp-Status...

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Teil 2

von Ernst Konwalinka

Eine interessante Geschichte um Thomas Petsch alias „Graf Yoster“.

Am Abend des 25. Juni 2020, es war ein warmer Sommertag und wir hatten auf unserer Terrasse gegrillt, nahm ich mein Handy zur Hand und entdeckte im Status unseres ORC-Clubmitgliedes Martin Senger einige Urlaubsbilder, die er eingestellt hatte. Er war mit seiner Frau Christina an der Ostsee. Eines der Bilder zeigte ein Motorrad der Marke „Münch Mammut 2000“, bis vor kurzem das stärkste Serienmotorrad der Welt, dessen Heckbürzel vom Erbauer, Thomas Petsch, handsigniert war.
Bei dem Namen klingelte es bei mir im Kleinhirn. Umgehend informierte ich Martin per WhatsApp, dass es sich bei dem Erbauer des Motorrades um ein Ex-Mitglied unseres ORC handelte. Viele kennen bzw. kannten ihn unter dem Spitznamen „Graf Yoster“.

Martin schrieb zurück, dass er in dem „Ostsee-Gutshaus“, einem Hotel in Klein-Strömkendorf, bei der Partnerin von Thomas Petsch, Frau Marita Gronau, einen Ferienbungalow bewohnt. Auf dem Gut gäbe es auch ein kleines Münch-Museum und eine Mammut-Bar mit zahlreichen Unikaten.

Frau Gronau war an der ORC-Vergangenheit Ihres verstorbenen Partners recht interessiert.

Umgehend hat Irmgard die alten „Hupen“ aus dem Keller geholt und angefangen zu recherchieren.

Thomas Petsch war auf dem ersten ORC Jahrestreffen 1980 in Würzburg mit seinem roten Bugatti einer der Teilnehmer.

Auszug aus der Hupe Ausgabe Juli 1999 über die Gründung des ORC:

So konnte Wolfgang Weber für den 25. September 1980 zum 1. ORC-Deutschlandtreffen nach Würzburg einladen. Fast 50 Replica folgten diesem Ruf und nahmen am Treffen teil. Von den uns noch bekannten Teilnehmern waren dabei:

Wolfgang Weber, Bugatti 35 B
Wolfgang Vedder, Bugatti 35 B
Horst Lange, Mercedes SS 29
Günter Silz, Mercedes SS29
Wolfgang Kümpel, Bugatti 35 B
Winni Basemann, Bugatti 35 B
Thomas Petsch (Graf Yoster), Bugatti 35 B
Richard Carls (Ossi), Bugatti 35 B

Meine telefonische Recherche bei Horst Fischer ergab, dass Thomas Petsch an dem 6. ORC-Jahrestreffen 1985 In Ribeauville/Elsass letztmalig teilgenommen hat. Davon gäbe es auch ein Foto. Gerdi Fischer hat das Foto mit dem Handy abfotografiert und an uns weitergeleitet. Und wir haben es an Martin geschickt. Umgehend kam die Antwort, ja, Frau Gronau könne sich an Bilder des Bugatti erinnern, obwohl diese aus der Zeit vor deren Partnerschaft stammen. Die beiden „D“ im Kennzeichen des Bugatti hätten laut Frau Gronau für Thomas Petsch übrigens folgende Bedeutung gehabt: „Darkwing Duck“.

Bis dahin kennen einige ORC-Mitglieder die Geschichte von Thomas Petsch alias „Graf Yoster“.

Doch die Geschichte ging weiter:

Für diejenigen Leser, die sich mit Motorrädern nicht so gut auskennen, hier etwas mehr Informationen über den geschichtlichen Hintergrund bzw. Fortgang.

Friedel Münch aus Altenstadt/Hessen baute in den 60er Jahren das erste Serienmotorrad mit Vierzylinder-Automotor. Die „Münch Mammut“ hatte den Motor des NSU Prinz 1000 TT.
Jedes gebaute Motorrad entstand in Handarbeit und war ein Unikat. Leistungen zwischen 55 PS und über 100 PS waren damals eine Ansage. Es gab zum damaligen Zeitpunkt kein Motorrad mit 1000 ccm. Die 750er BMW hatte zwei Zylinder und gerade mal 50 PS und japanische Big-Bikes gab es noch nicht. Die „Münch Mammut“ mutierte zum stärksten Serienmotorrad der Welt. Da der von Friedel Münch gewünschte Name „Mammut“ bereits durch einen Fahrradhersteller geschützt war, konnte er diese Bezeichnung offiziell niemals verwenden, trotzdem lebt der Name „Münch Mammut“ unter den Fans weiter.
Friedel Münch war ein genialer Tüftler und Techniker, aber kein guter Kaufmann.
Von 1966 bis 1980 verkaufte Münch 478 Motorräder, unter anderen auch an Scheichs in die Arabischen Emirate und an den Industriellenerben und Playboy Gunter Sachs.
In dieser Zeit musste er zweimal Konkurs anmelden. Er fand aber immer wieder Geldgeber, die den Mythos „Münch Mammut“ am Leben halten wollten. Schließlich kaufte der Lebensmittelgroßhändler Heinz W. Henke die Namensrechte und man führte die Produktion in der ursprünglichen Manufaktur in Altenstadt bis 1980 weiter, ehe er die Werkstore endgültig schloss.

Friedel Münch baute später in Eigenregie noch einige Motorräder auf „Münch“-Basis, allerding unter dem Namen „Horex“ und „Titan“, denn die Namensrechte an „Münch“ hatte er ja nicht mehr.

Dann lernte er den Würzburger Unternehmer und „Visionär“ Thomas Petsch kennen.
Petsch kaufte die Namensrechte „Münch“ zurück, investierte rund 20 Millionen Mark und konstruierte ab 1997 mit Friedel Münch die „Münch Mammut 2000“, um eine Kleinserie von 250 Motorrädern in einem neu errichteten Werk in Polen herzustellen. Petsch war bewusst, dass er mit dieser Investition kein Geld verdienen würde. 2001 wurde das erste Motorrad der Presse vorgestellt. Der Fahrradhersteller, der den Namen „Mammut“ für sich geschützt hatte, war mittlerweile pleite gegangen und der Name „Mammut“ konnte nun offiziell genutzt werden. Die „Münch Mammut 2000“ leistete mit Turbolader 260 PS (abgeriegelte Version) und war somit wieder das leistungsstärkste und teuerste Serienmotorrad der Welt.
Die Kosten überstiegen den ursprünglich geplanten Verkaufspreis von knapp DM 86.000,00 bei weitem. Von den 15 hergestellten Maschinen wurden nur 10 verkauft. Die restlichen Motorräder hat Petsch behalten, unter anderem wegen Bedenken zu erwartender Schadenersatzklagen, falls Käufer die Maschinen nicht beherrschen könnten. Dafür hätten noch weitere Tests, Prüfungen und Zertifizierungen stattfinden müssen, die weitere Summen verschlungen hätten.

Die Wege von Friedel Münch und Thomas Petsch trennten sich.

Eine kleine Episode ist in der Hupe Juni 2004 auf Seite 20 nachzulesen, als der ORC-Hessen am 13.09.2003 im Rahmen eines „Bonito-Treffens“ auch das „Münch Museum“ in Laubach besuchte. Friedel Münch war höchstpersönlich anwesend und erzählte aus erster Hand über die Geschichte der Münch-Motorräder. Für uns ein unvergessliches Erlebnis!
Friedel Münch starb 2014 im Alter von 87 Jahren.

Thomas Petsch betrieb unter anderem noch einen Rennstall für Elektro-Motorräder, unter dem Namen „Münch-Racing“ und mit seiner Partnerin, Frau Gronau, das besagte Hotel „Ostsee-Gutshaus“.
Thomas starb am 17.07.2017 im Alter von nur 57 Jahren.

Teil 3 (update)

von Ernst Konwalinka

Zur „Münch-Mammut-Geschichte“ und unserem ehemaligen Mitglied Thomas Petsch gibt es wider Erwarten doch noch eine kleine Fortsetzung:

Letztes Jahr konnten wir Peter Reeh aus Wehrheim/Taunus in den Reihen des ORC-Hessen als neues Mitglied begrüßen. Er fährt einen Mercedes W107 und einen Beauford. Auch ihm hatte ich letztes Jahr eine „Hupe“ zukommen lassen. Kurz darauf rief er mich an und berichtete mir, dass er die Geschichte um die „Münch“ und Thomas Petsch ganz toll fand.
Schließlich sei er mit Thomas Petsch sehr eng befreundet gewesen. War auf seiner Hochzeit eingeladen, kennt das Ostseegutshaus in Klein-Strömkendorf und auch mit seiner letzten Partnerin, Marita Gronau, habe er noch Kontakt.
Vor Jahren hatte Peter den Bugatti von Thomas Petsch gekauft und ihn über 10 Jahre mit Genuss gefahren. Leider wurde der Bugatti irgendwann verkauft. Jetzt sucht Peter wieder danach und möchte ihn gerne zurückkaufen.

Also Augen aufhalten!

Vielen Dank an Peter Reeh für die Informationen und die schönen Fotos.

Ernst Konwalinka

Published on  July 1st, 2023